„Das Vertrauen in die private Altersvorsorge muss wiederhergestellt werden“
Mögliche Provisionsbegrenzungen, neue Nachhaltigkeitskriterien, die Änderung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler:innen – die Liste umstrittener politischer Initiativen aus Sicht der freien Vermittler:innen ist lang. Der AfW-Hauptstadtgipfel eruierte bei führenden Finanzpolitikern den Sachstand und bot ihnen zugleich Orientierung und fundierte Sachinformationen an.
Führende Finanzexperten von Bündnis90/die Grünen, FDP und CDU äußerten sich auf dem 18. Hauptstadtgipfel des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung in Berlin zu ihren Vorstellungen zur aktuellen Regulierung und stellten sich den Fragen der AfW-Fördermitglieder. Naturgemäß drangen aus den laufenden Koalitionsverhandlungen keine Details an die Öffentlichkeit, dennoch entstand ein Bild, womit die Branche in den nächsten Jahren an regulativen Eingriffen zu rechnen hat.
Viele regulatorische Eingriffe sind weiterhin auf der Agenda. Daher pflegt der Berufsverband weitreichende Netzwerkkontakte zu Politiker:innen und Entscheider:innen aus der Branche, um nachteiligen Entwicklungen frühzeitig entgegenwirken zu können. Die Pläne der neuen Regierungskonstellation aus SPD, Grünen und FDP und die vermuteten Inhalte des zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch nicht veröffentlichten Koalitionsvertrags, spielten daher eine große Rolle.
Grüne: echter Wettbewerb zwischen Provision und Honorar
Stefan Schmidt, Mitglied im Finanzausschuss und zuständig für Anlegerschutz und finanziellen Verbraucherschutz für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, betonte die große Relevanz einer besseren Finanzbildung, um weite Bevölkerungskreise in die Lage zu versetzen, Altersvorsorge und Finanzfragen eigenständig zu regeln – mit der Unterstützung versierter Berater:innen. In der Vergütungsdiskussion hatten sich die Grünen eindeutig für einen Wechsel von der Provisions- zur Honorarberatung ausgesprochen. „Das Mindeste wäre, einen echten Wettbewerb der Vergütungssysteme herzustellen“, zeigt sich Schmidt kompromissbereit. Dies sei bei weitem noch nicht der Fall, da derzeit auf einen/eine Honorarberater:in 158 mit dem Provisionssystem arbeitende Kolleg:innen kommen.
Zu echtem Wettbewerb gehört für Schmidt, die Kostentransparenz über Nettotarife auszuweiten und eventuelle Schwachstellen von Honorarordnungen zu beseitigen. Der Nachteil einer Umsatzsteuerpflicht für ein Honorar im Vergleich zur umsatzsteuerbefreiten Provision könne unter der Prämisse eines fairen Wettbewerbs nicht bestehen bleiben. Schmidt sprach sich zudem für eine materielle Prospektprüfung seitens der BaFin aus und befürwortete die Aufsicht der Behörde über die rund 38.000 Finanzanlagenvermittler:innen, die in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht umgesetzt werden konnte.
Grüne streben BaFin-Aufsicht für Finanzanlagenvermittler:innen weiterhin an
„Wir möchten diese Frage weiter aufbohren, wir sehen Interessenkonflikte, wenn die Aufsicht gleichzeitig auch die Interessenvertretung der Vermittler darstellt“, begründete Schmidt seine Position, räumte aber zugleich ein, dass die betroffenen Vermittler:innen nicht mit zusätzlichen Kosten belastet werden sollten. In der Diskussion mit offener Kritik der AfW-Fördermitglieder zeigte sich der Grünen-Politiker zugänglich für die seitens des AfW begründeten Argumente, die für eine Beibehaltung der funktionierenden Aufsicht der Kammern sprechen, auch wenn Schmidt zumindest die Eignung der Gewerbeämter infrage stellte.
Zum Thema Riester plädierte Schmidt gemäß Sondierungspapier für ein neues Fördersystem mit einem neuen Namen, inklusive eines Bestandsschutzes für die mehr als 16 Millionen Riester-Verträge. „Das Vertrauen in die private Altersvorsorge muss wieder hergestellt werden“, soll laut Schmidt ein Leitthema der kommenden Legislaturperiode werden.
FDP: Verbraucherschutz muss verhältnismäßig sein
Dr. Florian Toncar, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und in der vergangenen Legislaturperiode deren finanzpolitischer Sprecher, bestätigte in seinem Vortrag in vielen Punkten die AfW-Positionen. „Acht von neun Euro kommen aus der Privatwirtschaft. Den Finanzmarkt verstehen wir als Partner, der für dringend benötige Investitionen sorgt“, erklärte Toncar. Alle drei Säulen der Altersvorsorge müssten gestärkt werden, wobei stets die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu berücksichtigen sei. „Wir dürfen den Verbraucher nicht zu Tode schützen, denn er zahlt diesen Schutz stets über die Produkte“, wies Toncar auf ein bekanntes Dilemma des Verbraucherschutzes hin.
In der Diskussion um Provisionsverbote bezog der Finanzpolitiker ebenfalls klar Stellung: „Kein Vergütungsmodell ist per se besser als das andere. Der Kunde darf nicht bevormundet werden. Der Zugang zu Beratung muss auch weiterhin für alle Bevölkerungsschichten erhalten bleiben“, so Toncar, der damit auf die aus Großbritannien bekannte „Advice Gap“ anspielte. Denn Provisionsverbote führten oftmals dazu, dass Beratung erst ab einem gewissen Verdienst und Vermögen erschwinglich sei.
Liberale wollen mehr Rendite in der Altersvorsorge fördern
Toncar betonte ferner die Vorteile einer einfach berechenbaren Abgeltungsteuer im Gegensatz zu einer Finanztransaktionssteuer, die eben nicht auf Spekulanten abzielte, sondern letztlich immer den/die Kund:in belaste. Die im Sondierungspapier der Ampel-Partner aufgeführte Erhöhung des Sparerpauschbetrags auf 1.000 Euro sah Toncar als ein klares Signal für Anleger:innen. „Wir sollten künftig Regularien vermeiden, die einen feindseligen Blick auf Vorsorge und den Finanzmarkt werfen“, gab der FDP-Finanzexperte eine Leitlinie seiner Partei für die neue Regierung vor.
Bei der „unnötig schwach konzipierten Riester-Rente“ sprach sich Toncar für eine umfassende Reform mit weniger Bürokratie und einer Anpassung an das aktuelle Anlageumfeld mit Dauerniedrigzins aus. „Wir brauchen ein gefördertes Renditeprodukt. In den unteren Einkommensgruppen geht Sparen immer mit Konsumverzicht einher, die Förderung ist daher ein sehr wichtiger Anreiz“, so Toncar, der zudem das Umlagesystem der gesetzlichen Rente gern schrittweise auf Kapitaldeckung umstellen möchte und hier beklagte, dass frühere Politikergenerationen viel Zeit verloren hätten. Die Idee einer gesetzlichen Aktienrente mit Pflichtbeiträgen in der ersten Schicht könne hier gut Teil einer tragfähigen Lösung für die Zukunft sein.
CDU sieht strukturelles Versagen der BaFin
Die künftige Opposition im Deutschen Bundestag war zwar nicht persönlich auf dem Hauptstadtgipfel präsent, AfW-Vorstand Frank Rottenbacher konnte jedoch mit Matthias Hauer, Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags ein vorab aufgenommenes Video-Interview führen. Hauer beklagte die Blockade-Haltung der SPD bei vielen die Finanzdienstleistung betreffenden Initiativen der Großen Koalition und unterstrich, dass es seiner Partei zu verdanken gewesen sei, dass die BaFin-Kontrolle über die Finanzanlagenvermittler:innen abgewendet werden konnte.
„Angesichts der sachgerechten Aufsicht der Kammern und der drohenden Mehrkosten gibt es hier einfach keine guten Argumente für eine Änderung ohne Not“, so Hauer. Zumal er als Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Wirecard-Untersuchungsausschuss der BaFin multiples und strukturelles Aufsichtsversagen bescheinigte.
Der 18. AfW-Hauptstadtgipfel fand als Präsenzveranstaltung unter einem 2G-Konzept und Corona-Hygienebestimmungen am 17. November im Berliner Hotel Bristol statt. Rund 50 Vorständ:innen/Geschäftsführer:innen von AfW-Fördermitgliedern waren vertreten und bereicherten die Diskussion mit direkten Erkenntnissen aus Ihrer Berufspraxis. Der AfW gab zudem bekannt, dass im ablaufenden Jahr 12 neue Unterstützer:innen aus der Branche gewonnen wurden, die Zahl der Fördermitglieder liegt damit aktuell bei 78.
v.l.n.r.: Frank Rottenbacher AfW, Stefan Schmidt Bündnis90/Die Grünen, Matthias Wiegel AfW, Norman Wirth AfW
v.l.n.r: Norman Wirth AfW, Dr. Florian Toncar FDP, Frank Rottenbacher AfW, Matthias Wiegel AfW